Autorenlesung „Kokons des Schweigens. Zwei Detmolder Familien in der NS-Zeit“
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Autorenlesung mit Gudrun Mitschke-Buchholz und Barbara Stellbrink-Kesy zum Jahrestag des Novemberpogroms 1938
Geschichte hat einen Ort und Geschichte hat ein Gesicht. Auch in Detmold hinterließ die Verfolgung von Menschen, denen durch den NS-Staat das Recht auf Anderssein und letztlich ihr Recht auf Leben abgesprochen wurde, bis heute ihre nachdrücklichen Spuren. In den an diesem Abend vorgestellten persönlichen Zeugnissen wie Briefen und Postkarten lassen sich die Schicksale von zwei sehr unterschiedlich betroffenen Familien erahnen.
So begegnet dem Publikum Irmgard Heiss, geb. Stellbrink, mit ihrer Familie aus Detmold, die als psychisch Erkrankte zu den Menschen gehörte die – wie es damals hieß – den „gesunden Volkskörper“ störten. Ihr langes Sterben in verschiedenen Heil- und Pflegeanstalten blieb lange Zeit in einem Kokon des Schweigens verborgen. Die Wirkmächtigkeit des verschwiegenen Leids betraf jedoch auch die folgenden Generationen. Barbara Stellbrink-Kesy versucht in ihrem Roman die „Unerhörte Geschichte“ ihrer Großtante in den historischen und familiären Kontext einzubetten und sichtbar werden zu lassen.
Die Familie Herzberg aus Detmold erfuhr Ausgrenzung und Entrechtung wie alle Mitglieder ihrer jüdischen Gemeinde. Auch sie begriffen das volle Ausmaß der tödlichen Bedrohung nach den Ausschreitungen des Novemberpogroms. Es galt nun, dieses Land, das sie über Generationen als ihre Heimat verstanden hatten, zu verlassen. Aber wohin? Und so schickte die Familie ihren Sohn Fritz im Jahr 1939 mit einem Kindertransport auf eine lange Reise, im Laufe derer aus Fritz Fred wurde und die ihn nie wieder nach Hause zurückführte. Er verließ Deutschland mit dem uneinlösbaren Auftrag, nicht nur sich selbst, sondern seine gesamte Familie zu retten. Am Ende stand er vor einem Verlust, der sein Leben zerriss und ihn in einer existentiellen Einsamkeit zurückließ, für die das deutsche Wort „mutterseelenallein“ nicht ausreicht. Insgesamt vierzehn Mitglieder seiner einstmals großen Familie waren im Völkermord umgekommen. Nur selten und bruchstückhaft vermochte Fred Herzberg davon zu sprechen. Seine Geschichte lag verborgen in den Briefen und Postkarten seiner Liebsten, die er bis zu seinem eigenen Tod sorgsam verwahrte. Gudrun Mitschke-Buchholz versucht, in dem Band „Lebenslängliche Reise“ anhand jener Briefzeugnisse die Geschichte der Familie Herzberg aus dem Bann des Schweigens zu lösen.
Eine Veranstaltung im Rahmen der 30. Literaturtage Sachsen-Anhalt 2021.
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